Weiblich-Mutig-Stark
Drei Frauen, drei Generationen, eine Gewerkschaft: Zusammen im Kampf für echte Gleichberechtigung in der Arbeitswelt.
Coverstory
Leonie weiß, was sie will. Die 21-Jährige entdeckt gerne neue Welten und schreckt dabei auch nicht vor Umwegen zurück. „Ich bin nach der Matura von Klagenfurt nach Wien gezogen, um Astrophysik zu studieren. Ich habe aber schnell gemerkt, dass ein Studium nichts für mich ist, und mich schließlich für eine Lehrstelle beworben“, erzählt sie. Inzwischen ist Leonie im dritten Lehrjahr zur Applikationsentwicklerin bei Österreichs größtem Eisenbahnunternehmen, den ÖBB, und erschafft damit selbst neue Galaxien.
„Die Gewerkschaft steht auf unserer Seite. Sie kämpft für unsere Anliegen. Sie setzt sich dafür ein, dass wir ein gutes Leben haben, von der Lehre bis in die Pension. Daher ist es superwichtig, dass man als Mitglied dabei ist. Denn je mehr wir sind, desto lauter ist unsere Stimme.“
Bereit fürs nächste Level
Es ist die Vielseitigkeit, die Leonie an ihrer Ausbildung liebt. „Wir entwickeln Apps und Websites. Dabei arbeiten wir kreativ und mit Köpfchen. Diese Kombination gefällt mir.“ Leonie meistert eine Herausforderung nach der anderen, um das nächste Level zu erreichen. „Nächstes Jahr geht’s ums Ganze. Dann heißt meine Challenge LAP“, lächelt sie. LAP steht für Lehrabschlussprüfung. Ein wenig Bammel hat Leonie schon davor, aber sie steht auch in diesem Fall ihren „Mann“ – als einzige Frau in ihrem Lehrgang.
Weil ich ein Mädchen bin
Geschlecht macht keinen Unterschied. Aber nach wie vor gibt es Berufe, die männlich dominiert sind. Bei den ÖBB liegt der Frauenanteil bei etwas über 16 Prozent, bei den Lehrlingen bei knapp 19 Prozent. „Da ist noch ordentlich Luft nach oben“, bestätigt Leonie. Bis 2026 möchten die ÖBB den Anteil der Frauen auf allen Ebenen deutlich erhöhen. Leonie fühlt sich unter ihren männlichen Lehrlingskollegen geschätzt und gleichbehandelt. Nichtsdestotrotz freut es sie, dass die ÖBB ein eigenes „Mädchenprojekt“ anbieten. „Sozialarbeiterinnen kommen zu uns in die Lehrwerkstätte, stehen bei Fragen oder Problemen zur Seite und bieten auch spezielle Kurse an, wie zum Beispiel Selbstverteidigung“, berichtet sie.
Universum für Gerechtigkeit
Eine weitere neue Welt für sich entdeckt hat Leonie mit der Gewerkschaft. „Ich bin gleich zu Beginn meiner Lehre Mitglied geworden und habe kurz danach hautnah den großen Eisenbahnerstreik miterleben dürfen. Das war ziemlich aufregend“, blickt sie zurück. Für Leonie ist es wichtig, dass man füreinander einsteht, dass man sich gemeinsam einsetzt, wenn es um die Rechte der Beschäftigten geht. „Mit der Gewerkschaft fühlt man sich zugehörig. Und vor allem ist da jemand, der einen versteht und begleitet.“ In ihrer Gewerkschaftsfamilie hat Leonie viele neue Wegbegleiter:innen gefunden. Seit einem Jahr ist sie selbst stark im Einsatz für Gerechtigkeit. Als Jugendvertrauensrätin ist Leonie für die Anliegen ihrer Lehrlingskolleg:innen da und hat immer ein offenes Ohr für ihre Wünsche.
Alles muss möglich sein
Wünsche hat Leonie selbst auch, und zwar an die neue Regierung. „Ich wünsche mir, dass wir keine Rückschritte machen, sondern Schritte in die Zukunft. Ich wünsche mir, dass es keinen Unterschied mehr macht, ob man weiblich, männlich oder divers ist, dass alle die gleichen Chancen haben, dass junge Menschen motiviert und gefördert werden, neue berufliche Welten für sich zu entdecken. Alles muss und soll für alle möglich sein!“ Was die Zukunft für Leonie bringt, steht noch in den Sternen. Aber eines ist gewiss: Leonie wird weiter selbstbewusst und selbstbestimmt ihren Weg gehen.
Auf der Bühne des Lebens
Auch Aglaia hat in ihrem Leben bereits viele Wege und Welten für sich entdeckt. In ihren Zwanzigern war die Wienerin beruflich auf großen Bühnen unterwegs und dabei oft die einzige Frau unter vielen Männern. „Ich war im Event- und Bühnenbau tätig, habe viel gesehen und erlebt und hatte neben jeder Menge guter Musik auch viel Action“, blickt sie auf die Zeit zurück. Vor allem aber konnte Aglaia die Arbeit flexibel einteilen und sich so um ihre schwer kranke Mutter kümmern. „Ich habe schon in jungen Jahren ihre Pflege übernommen und sie bis zum Schluss begleitet.“ Nachdem sie danach auch die Pflege ihrer Großmutter übernommen hatte und nach der Geburt ihres zweiten Sohnes, hat Aglaia die Weichen neu gestellt und im zweiten Bildungsweg ihre berufliche Heimat gefunden. „Ich habe mir damals gedacht: Jetzt geh ich’s richtig an und pflege professionell.“ Aglaia hat Mitte 30 eine Ausbildung zur diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegerin absolviert und diesen Schritt keinen einzigen Tag bereut.
„Wofür soll eine Gewerkschaft kämpfen? Ganz klar immer für Demokratie, Solidarität und Menschlichkeit! Ich möchte nicht in Lebensrealitäten oder überholte Rollenbilder zurückgedrängt werden. Ich möchte eine echte Wahlfreiheit haben – heute und in Zukunft.“
Ein großes Herz für alle
Heute ist Aglaia 47 Jahre alt und im Krankenhaus Barmherzige Schwestern in Wien beschäftigt. „Ich arbeite in der interdisziplinären Ambulanz. Auch hier kommt Action nicht zu kurz“, erzählt sie mit einem Lächeln. Gemeinsam mit ihren Kolleg:innen übernimmt Aglaia Patient:innen, die von Rettungen aus ganz Wien eingeliefert werden, und kümmert sich um die akute Erstversorgung. Dabei arbeitet sie mit den unterschiedlichsten medizinischen Abteilungen zusammen. „Diese Vielfältigkeit spiegelt sich auch im Berufsbild der Pflege wider“, spricht Aglaia aus Erfahrung. Als Praxisanleiterin gibt sie ihr Wissen an die nächste Generation weiter, das ist für sie eine Herzensangelegenheit. Aglaia möchte mit ihrer Arbeit etwas verändern, Positives bewirken – und zwar für alle. Deshalb macht sie jetzt „so nebenbei“ den MBA im Gesundheitsmanagement.
Ständiger Balanceakt
Auf die Frage, wie sie Beruf und Familie vereinbart, antwortet Aglaia: „Man managt und balanciert viel. Vieles übernimmt mein Mann, dem ich unheimlich dankbar bin. Er war schon während meiner Ausbildung eine große Stütze. Ohne ihn, wäre das alles nicht möglich gewesen.“ In der Pflege muss man nicht nur ziel- und lösungsorientiert sein, man muss oft auch sehr rasch und flexibel handeln. Aglaia und ihre Kolleg:innen geben alles und mehr. „Viele arbeiten bereits am Limit. Springen für andere ein, übernehmen Dienste, opfern freie Tage. Das geht nicht nur auf Kosten des Privatlebens, sondern auch auf die Gesundheit“, weiß Aglaia. Auch die Urlaubsplanung ist immer wieder eine Herausforderung. „Pflege muss 365 Tage im Jahr Tag und Nacht gewährleistet sein, also auch an Feiertagen.“
Keine Maschinen
Für Aglaia ist die Pflege trotz der vielen Herausforderungen ein sehr erfüllender Beruf. Es scheitert aber an den Rahmenbedingungen. „Es fehlt an Personal und an Zeit“, betont Aglaia. Der Personalmangel in der Pflege sei teilweise künstlich geschaffen, „um mehr Produktivität zu fördern, weil es keine einheitlichen Regelungen gibt, wie viel Personal eingesetzt wird“, kritisiert sie. Gemeinsam mit der Gewerkschaft setzt sich Aglaia für einen einheitlichen, österreichweiten Personalschlüssel ein. „Wir arbeiten mit und am Menschen, nicht am Fließband in einer Fabrik. Da funktionieren klassische Berechnungsmodelle nicht. Pflege braucht einfach mehr Zeit und mehr Personal.“
Starke Verbündete
Um etwas zu verändern, ist Aglaia auch der Gewerkschaft beigetreten. Kurz darauf ist sie von ihrem Betriebsrat gefragt worden, ob sie im Betriebsratsteam mitmachen möchte. „Jetzt bin ich nicht nur Gewerkschaftsmitglied, sondern auch Betriebsrätin aus Überzeugung“, lächelt sie. Aglaias Kolleg:innen kommen mit den unterschiedlichsten Fragen zu ihr. Nicht immer gehe es um die Arbeit, manchmal auch um private Dinge. Auch hier versucht sie, stark zur Seite zu stehen. So wie es die Gewerkschaft tut. „Wir müssen uns solidarisieren, gerade wenn es um unsere Rechte geht, um unsere Demokratie und um unseren Sozialstaat. Dabei braucht es starke Verbündete.“
Wo bleiben die Lösungen?
Vor allem aber sieht Aglaia die Politik in der Verantwortung. „Ich wünsche mir eine Regierung, die endlich konstruktiv an Lösungen arbeitet. Ich wünsche mir Rahmenbedingungen, die dafür sorgen, dass ein selbstbestimmtes Leben für alle möglich ist und dass alle die bestmögliche Startposition haben. Ich erwarte mir zum Beispiel, dass Kinderbetreuungsplätze an reale Arbeitszeiten angepasst werden, dass eine Work-Life-Balance ohne finanzielle Einbußen möglich ist und dass berufstätige Mütter und Väter endlich entstigmatisiert werden. In der Berufswelt sollte Elternschaft ein Vorteil sein und kein Makel.“
Eine Frau, viele Berufe
Marlene ist ein gutes Beispiel dafür, was alles möglich ist, wenn man sich traut, neue Wege zu gehen. Als junges Mädchen, im Jahr 1979, begann die Wienerin eine Lehre als Bankkauffrau. Damals trat sie auch der Gewerkschaft bei, „ohne zu wissen, was da eigentlich alles Gute drinnen steckt“, erzählt die heute 63-Jährige verschmitzt. Allzu lange war Marlene der Bank aber nicht treu. „Mir ist recht schnell langweilig geworden“, verrät sie. Einige Zeit hat sie bei verschiedenen Würstelständen gejobbt und war auch im Wiener Traditionscafé Schwarzenberg beschäftigt. „Das hat Spaß gemacht, da war immer etwas los“, erzählt sie mit leuchtenden Augen. Doch als Marlene alt genug war, um die Taxilenkerprüfung zu machen, war sie nicht mehr zu bremsen.
„Lassen wir uns nichts gefallen! Hören wir nie auf, gemeinsam für Gerechtigkeit und das Gute für alle zu kämpfen! Und stärken wir unserer Gewerkschaft den Rücken. Das geht auch noch in der Pension!“
Im Taxi durch die Nacht
Viele Nächte war Marlene mit ihrem Taxi in Wien unterwegs. „Nein, Angst hatte ich keine“, erzählt sie. „Ich hatte immer super Fahrgäste, nette Kollegen, und habe mich durchgesetzt, wenn es sein musste.“ Auch mit Babybauch saß Marlene hinter dem Steuer. „Mein Chef hat mir ein Sportlenkrad in meinen VW Passat eingebaut, damit ich genug Platz habe“, erzählt sie mit einem Augenzwinkern. Bei ihrer ersten Tochter war Marlene 24 Jahre alt. Und auch in ihrer zweiten Schwangerschaft saß sie hinter dem Lenkrad. „Ich hatte jemanden in meinem privaten Umfeld gefunden, der auf meine erste Tochter aufpasst. Mit Kindergarten wäre das damals nicht gegangen. Da waren die Öffnungszeiten noch verheerender als heute.“
Leben im Gemeindebau
Mit der Geburt ihrer dritten Tochter hat sich Marlene beruflich wieder verändert. „1990 bin ich Hausbesorgerin bei der Gemeinde Wien geworden. Ab dann war es für mich um einiges leichter, Beruf und Familie zu vereinbaren“, lächelt sie. Viele ihrer Kolleg:innen waren Frauen. „Wir hatten sogar eine promovierte Ärztin, die Hausbesorgerin wurde wegen ihrer Kinder“, erinnert sich Marlene. Im 11. Wiener Gemeindebezirk war Marlene „Herrin“ über drei Gemeindebau-Stiegen mit jeweils sechs Stockwerken. 60 Mieter:innen wohnten dort. „Ich kannte die meisten von ihnen, war immer für ihre Anliegen da“, blickt Marlene zurück. Anstrengend waren eigentlich nur die Wintermonate. „Da musste ich frühmorgens ausrücken und die Wege frei von Schnee und Eis machen. Bis 6 Uhr musste der Gehsteig schließlich fertig sein, und das war er auch, über 30 Jahre lang“, berichtet Marlene mit Stolz.
Gute Seele für viele
Stolz ist Marlene auch auf ihren zweiten Beruf, den sie noch bis heute ausübt und der sie mit viel Freude erfüllt. „Ich bin seit 1999 ehrenamtlich beim Samariterbund tätig und war für ganz viele alte Menschen bei uns im Gemeindebau die, die Blutdruck misst und schaut, ob alles in Ordnung ist.“ Geschaut hat Marlene auch auf ihre Kolleg:innen. Als Betriebsrätin stand sie ihnen stark zur Seite. Marlene hatte bei all ihren Berufen immer das Glück, dasselbe zu verdienen wie ihre männlichen Kollegen. „Und wenn es anfangs nicht so war, dann habe ich mich auf die Füße gestellt. Es gibt aber viele Frauen, die sich nicht trauen, etwas zu sagen. Daher braucht es die Gewerkschaft“, betont Marlene. Und daher ist sie auch noch in der Pension in „ihrer“ vida aktiv. „Ich kann zwar alleine nicht allzu viel bewegen. Ich kann aber den Leuten zeigen, wo sie Hilfe bekommen, wohin sie sich wenden können, und ich kann ihnen zuhören, das ist wichtig und hilft vielen Menschen auch schon.“
Mut machen auch in Zukunft
Marlene hat in ihrem Leben zwar oft den Beruf gewechselt, treu geblieben ist sie aber immer ihrer Gewerkschaft. Seit über 40 Jahren ist Marlene Mitglied. Vier Töchter hat sie auf die Welt gebracht, vier Enkelkinder erfüllen ihr Leben. „Das fünfte ist auf dem Weg“, lächelt sie. „Ich bin fest davon überzeugt, dass es Menschen braucht, die auch der nächsten Generation Mut machen und zeigen, dass man gemeinsam etwas bewegen kann. Daher ist es für mich wichtig und selbstverständlich, auch in der Pension bei der Gewerkschaft dabei zu sein.“